Verfasst von: SDG | 13/09/2010

Integration im Alltag

Da steht sie. An der Kasse. Direkt neben mir. Die Ausländerin. Doch, halt! Darf ich das sagen? Muss es nicht heißen: Die junge Frau mit ausländisch anmutendem Teint? Die evtl. deutsche Staatsbürgerin mit Migrationshintergrund? Sie schweigt, ich kann also nicht beurteilen, wie gut sie deutsch kann. Wie auch immer: Mir fällt auf, dass sie wie eine Person aussieht, die ihre Wurzeln nicht ursprünglich in Deutschland hat. Hust. Naja. So in etwa darf man es noch formulieren ohne von rot-grünen Multikultis gesteinigt zu werden, oder? Doch wer interessiert sich für deren politisch verreckten, äh, korrekten Ansprüche? Ich eigentlich nicht. Doch an der Kasse merke ich, dass selbst ich durch die von Sarrazin angestoßene Debatte sensibilisiert, ja fast unsicher bin.

Ich frage mich: Was wäre jetzt mein Beitrag in dieser konkreten Situation zu einer offeneren und integrativeren Gesellschaft? Soll ich die junge Frau die ganze Zeit anlächeln, so wie es Dieter Nuhr angeblich in seiner jugendlichen Zeit gemacht hat, weil er auch nicht wusste, wie man sich Ausländern gegenüber offen verhalten soll? Quasi um zu signalisieren: Du bist willkommen! Schön, dass du da bist! Doch was würde in meiner Situation der junge Mann an ihrer Seite sagen? Außerdem habe ich von meinen Eltern gelernt, dass man andere Menschen nicht einfach anstarrt (und erst recht nicht junge Frauen gleichen Alters!).

Ein Dilemma. Vor allem: Was passiert, wenn sie sich dadurch stigmatisiert und wie im Zoo fühlt? Oder gar fließend deutsch spricht, in Deutschland geboren ist und dann dieselbe Leier wie Frau Özkan bei der Talkrunde von Beckmann vom Stapel lässt (A la: „Ich bin hier geboren, habe hier Abitur gemacht, bin erfolgreich, wie kann man nur aufgrund meines Aussehens auf den Verdacht kommen, ich käme nicht von hier!! Diskriminierung!!!“). Dann hätte ich DEN Integrations-Fauxpas schlechthin gemacht: Es gut meinen, faktisch aber tief ins Klo greifen.

Ach, es ist nicht leicht, diese Tage Integration im Alltag zu leben. Denn auch die Idee, der jungen Frau zu danken, dass sie in einem deutschen Discounter einkauft und nicht die Subkulturen-Shops besucht, verwerfe ich. Könnte mir sofort als ausländerfeindlich ausgelegt werden. Dabei wäre es doch nur als ermunternde Wertschätzung gemeint, die ihre Integrationsbereitschaft würdigen sollte. Doch ich halte lieber den Mund. Und kehre ihr den Rücken zu (Schreck lass nach: Darf man das oder gilt das auch schon als ausländerfeindlich?). Meine Frage bleibt: Was soll ich jetzt tun??

Schließlich kommt es an der Kasse, wie es kommen muss. Ich grenze mich ab. Deutlich. Setze den ultimativen Abgrenzer zwischen sie und mich. Mitten aufs Fließband. „Du Spalter!!“, schießt es mir sofort durch den Kopf, „dein Bundespräsident predigt mit multikulturellem Lächeln, man soll für den Zusammenhalt der Gesellschaft Brücken bauen und das gemeinsame betonen. Und was machst du?? Du böser, böser Spalter!! Lässt eiskalt den Grenzpfosten des Alltags darniederkrachen!“ Doch hilflos schießt es hinterher: „Herr Bundespräsident, wie hätte ich in dieser Situation integrationstechnisch angemessen reagieren können? Die junge Frau auf meine Rechnung gehen lassen? Ich hatte doch nur ein paar Euros dabei! Zwei von den roten (!) Abgrenzern  längs statt einen quer aufs Fließband legen? Als Zeichen der Offenheit und Verbundenheit zwischen allen Menschen, egal welcher Hautfarbe?“ Ich bleibe schweren Herzens bei dem einen Abgrenzer, zahle nur mein Zeug und gehe nachdenklich nach Hause. Integration im Alltag kann so schwer sein.

[Dieser Artikel ist wirklich  gebloggt. Erste Genese auf einem weißen Block, zweite auf einem digitalen Blog.]


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